Entschleunigen mit Slow TV

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Slow Television, oder Slow TV, beschreibt die Marathon-Berichterstattung über ein Ereignis, das typischerweise in Echtzeit gezeigt wird. Es geht darum, die Stunden und Minuten zu genießen, anstatt sie nur zu zählen. Die Skandinavier sind begeistert.

Circadianer Rhythmus

Was ist Slow TV?

Der Ursprung von Slow TV ist unklar. Möglicherweise ist es in der bildenden Kunst verwurzelt. Ein Beispiel ist Andy Warhols Film „Sleep“ von 1964, der den Dichter John Giorno fünf Stunden und zwanzig Minuten lang schlafend zeigte. Das Konzept von Slow TV ist, etwas in der Geschwindigkeit zu zeigen, in der es erlebt wird. Es gibt keinen Schnitt oder ein Skript, da es auf Übergänge und Bewegung statt auf Spannung und Handlung aufbaut. Es handelt sich um die Darstellung von oft alltäglichen Erfahrungen in Echtzeit, wie eine Zugfahrt oder das Stricken.

Norwegisches Slow TV

Das Genre wurde erstmals 2009 populär, nachdem der norwegische Rundfunk (NRK) eine 7-stündige Zugfahrt übertrug. Nach dem Erfolg der ersten Slow-TV-Sendung von NRK, Bergensbanen – Minutt für Minutt, strahlte der Sender

  • weitere Zugstrecken,
  • eine Küstenschifffahrt (Hurtigruten),
  • die Eröffnung der Angelsaison auf dem Fluss Gaula (Lakseelva) und
  • eine 12-stündige Sendung über Brennholz (Nasjonal vedkveld)

aus, die 1 Million Zuschauer und internationale Aufmerksamkeit erhielt. Es folgten mehrere Slow-TV-Sendungen pro Jahr, deren Themen von Reisen über Fleischproduktion und akademische Vorträge bis hin zu Uhren reichen.

Slow TV Empfehlungen

BERGENSBANEN – MINUTT FÜR MINUTT

Es gibt keine bessere Einführung in Slow TV als die epische Zugfahrt von Bergen nach Oslo, die das Genre populär machte. Wunderschöne Landschaften und schwungvolle Kurven der Zugstrecke wechseln sich mit dem Eintauchen in die Dunkelheit ab, wenn der Zug durch die Tunnel fährt. Aber keine Sorge, am Ende gibt es immer ein Licht.

 

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Entschleunigen mit Slow TV

DIE GROSSE ELCHWANDERUNG

Im dritten Jahr übertrug das öffentlich-rechtliche schwedische SVT in diesem Frühjahr live und rund um die Uhr die wochenlange Dauersendung „Den stora älgvandringen“, also „Die große Elchwanderung“. Bei der Pre­miere im Frühjahr 2019 sendete man 450 Stunden an einem Stück, 2020 waren es 768 Stunden, und in diesem Jahr lief das Programm ab dem 18. April ganze 520 Stunden lang. Und was sehen die Millionen ZuschauerInnen, die diese Elchsendung oft Stunden an einem Stück gucken? Natürlich Wald, viel Wald. Dazu glucksendes Wasser, einzelne Eisschollen, Vogelschwärme am Himmel, mal einen Adler oder Birkhühner. Und am Flussufer taucht vielleicht ein Biber, Otter, Fuchs oder Rentier auf. Was meistens fehlt, sind – Elche. Aber das stört offenbar nicht.

Hier als Beispiel eine sehr kurze Variante:

 

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ENTSPANNEN MIT SCHAFEN

Sechs Stunden lang weidet eine Schafherde unter den Reben der Shafer Vineyards außerhalb von Napa, Kalifornien. Dieser Film ist hypnotisch. Auf den ersten Blick scheinen sie sich nicht zu bewegen, aber tatsächlich bewegen sie sich langsam und methodisch über den Boden und kauen zielstrebig auf Gras herum. In 6 Stunden und 13 Minuten entspanntem Studium gibt es viele Nuancen zu entdecken.

 

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Popularität von Slow TV

Slow TV wird oft mit der Slow-Bewegung in Verbindung gebracht. Das ist eine kulturelle Bewegung, die sich für die Verlangsamung des Lebensrhythmus einsetzt, ausgelöst durch die Slow-Food-Bewegung von 1986. Ein Leben, das nach den Prinzipien der Slow-Philosophie gelebt wird, ist ein Leben, das damit verbracht wird, „die Stunden und Minuten zu genießen, anstatt sie nur zu zählen“, erklärt Carl Honoré, eine führende Figur der Bewegung. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Slow TV in diese Definition passt, da seine passive Natur dem Zuschauer Raum zum Nachdenken und zur Kontemplation gibt, anstatt ihn mit Informationen zu bombardieren.

Topophilie

Kulisse zur Selbstreflexion

Wie es der New Yorker Journalist Nathan Heller ausdrückt: „Langsames Fernsehen scheint zum Teil deshalb langsam zu sein, weil es im Gegensatz zu unserer normalen Erfahrung der Welt nicht von einem inneren Bewusstsein geprägt ist. Anstatt das Innenleben seiner Zuschauer zu übertönen, scheint es eine Kulisse sein zu wollen, die Anlass zu eigenen Reflexionen geben kann. Ein Slow-TV-Programm ist wie eine tolle Aussicht, der man im Urlaub begegnet: Sie ist immer da, unnahbar, aber sie gewinnt an Bedeutung und einer Geschichte, je nachdem, was sie im Kopf hervorruft.“

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Achtsame Räume schaffen

In einer Welt, in der Achtsamkeit oft als die Antwort auf die zunehmende Angst empfohlen wird, will Slow TV einen achtsamen Raum schaffen, ohne technologische Fortschritte abzulehnen. Im Gegenteil, es begrüßt sie, denn die Themen profitieren von der hohen Auflösung, in der sie gefilmt werden. Es ist frei von Nostalgie oder einer Sehnsucht nach einfacheren Zeiten. Stattdessen bietet es einen Raum zum Nachdenken und Meditieren. Kurz gesagt, es bietet Eskapismus, indem es den Zuschauer in der unmittelbaren Gegenwart verankert.

Die Beliebtheit von Slow TV in Norwegen hängt vielleicht mit der gesellschaftlichen Wertschätzung und dem Respekt vor der epischen Naturschönheit des Landes zusammen, oder mit dem Wunsch, trotz der intensiven Modernisierung des Landes mit ihr verbunden zu bleiben. Was auch immer der Grund sein mag, die langsamen Übertragungen von NRK sorgen weiterhin für unglaubliche Einschaltquoten und landesweite Diskussionen. Hurtigruten wurde von etwa der Hälfte der norwegischen Bevölkerung gesehen und hielt drei Heiratsanträge und einen Blick auf die winkende norwegische Königin während des Live-Streams fest.

 

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Michaela Derstroff Administrator
Redaktion

Als Redakteurin beim Haus des Heilens möchte ich mit meinen Beiträgen zum Einklang zwischen Geist, Seele und Körper beitragen. Frei nach Paracelsus:
„Der Arzt verbindet deine Wunden. Dein innerer Arzt aber wird dich gesunden. Bitte ihn darum, sooft du kannst.“

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